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Mehr Schein als Sein – Zur Hinweispflicht des Rechtsanwaltes auf eine unterhaltene Niederlassung

Durch Artikel I Nr. 17 des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 30.03.2007 wurde das bisherige Verbot aus § 28 BRAO aufgehoben. Seither ist es Rechtsanwälten erlaubt, Zweigstellen zu gründen und auswärtige Sprechtage abzuhalten. Ob die Zweigstellen als solche auf Kanzleischild, Briefbogen oder Homepage kenntlich zu machen sind, lässt die Neuregelung allerdings offen. In einer aktuellen Entscheidung hat das LG Erfurt die Hinweispflicht bejaht (Urteil vom 23.06.2010 – 7 O 2036/09, nicht rechtskräftig). Ist dieser Auffassung tatsächlich zu folgen? Macht es für den Aussenstehenden denn einen Unterschied, ob er seinen Rechtsvertreter in dessen Hauptstelle, oder dessen Nebenstelle antrifft? Doch gehen wir zunächst einmal ins Detail:

Gesetzeslage

Wie bereits angemerkt, gibt es keine berufsrechtlichen Regelungen zur entsprechenden Hinweispflicht. Zwar enthält seit dem 1. Juli 2010 der neu gefasste § 10 Abs. 1 BORA die Verpflichtung, dass Rechtsanwälte auf ihren Briefbögen ihre Kanzleianschrift angeben müssen. Weiter heißt es: „Werden mehrere Kanzleien, eine oder mehrere Zweigstellen unterhalten, so ist für jeden auf dem Briefbogen genannten seine Kanzleianschrift (§31 BRAO) anzugeben.“ Darüber, ob sich daraus im Umkehrschluss  die Pflicht ergibt, eine Filiale als solche zu kennzeichnen, ist der Vorschrift jedenfalls nicht zu entnehmen.

Auch der BGH lässt sich in einer aktuellen Entscheidung zu § 5 BORA für die an den Zweigstellen vorzuhaltende Infrastruktur zwar dahingehend ein, dass § 27 Abs. 1 BRAO die Einrichtung einer Kanzlei auch am Ort der Zweigstelle erfordert, damit die Erreichbarkeit und Ansprechbarkeit des Anwaltes gewährleistet ist (BGH AnwZ (P) 1/09 v. 13.9.2010).  Die Entscheidung lässt aber ebenso offen, ob Haupt- und Zweigstelle eben als solche zu kennzeichnen sind.

Ebensowenig bestehen entsprechende firmenrechtliche Vorschriften für den Einzelanwalt oder Sozietäten in der Rechtsform der GbR. Lediglich für  Partnerschaftsgesellschaften und die RA-GmbH besteht die Verpflichtung, die Anschrift der Hauptstelle in Geschäftsbriefen auszuweisen. Wird eine Homepage geführt, ist unabhängig von der Rechtsform, in der eine Sozietät geführt wird, die Anschrift der Hauptstelle der Kanzlei anzugeben (§ 5 TMG – Anbieterkennzeichnung). Stellt sich dann noch die Frage der Kennzeichnungspflicht unter wettbewerbsrechtlichen Aspekten:

In Betracht kommt ein Verstoss gegen die §§ 3,5 UWG unter dem Gesichtspunkt der Irreführung über geschäftliche Verhältnisse. Bringt ein Rechtsanwalt an seiner Niederlassung ein Schild mit seinem Kanzleinamen und der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ an, so sind diese Angaben auch als solche zutreffend. Von Bedeutung könnten aber die Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL) sein. Nach Artikel 7 I der UGP-RL gilt eine Geschäftspraxis als irreführend, „wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.“

Ist denn etwa der Umstand, dass es sich bei einer Kanzlei „nur“ um eine Niederlassung einer anderweitig ansässigen Hauptstelle handelt, für den Durchschnittsverbraucher wesentlich und kann ihn das Unterlassen eines entsprechenden Hinweises zu einer Auswahlentscheidung veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte?

Im Schrifttum wird diese Auffassung vereinzelt aufgegriffen. Schliesslich sei für den Durchschnittsverbraucher neben der Qualifikation auch die Erreichbarkeit seines Anwaltes nicht unerheblich für seine Auswahlentscheidung. Der Durchschnittsverbraucher (wer auch immer damit gemeint sei) würde eine nicht als solche gekennzeichnete Zweigstelle für eine Hauptstelle halten, er würde folglich eine Präsenz des Anwaltes voraussetzen, die tatsächlich nicht in gleicher Weise gewährleistet ist, wie bei einem gleichermassen engagierten und ausgelasteten Rechtsanwalt, der sich auf den Betrieb seiner Hauptstelle beschränkt. Ferner würde der Durchschnittsverbraucher erwarten, dass der Rechtsanwalt mit den Besonderheiten der Rechtsprechung der für seine Hauptstelle zuständigen Gerichte in höherem Masse vertraut sein, als dies bei einem Rechtsanwalt der Fall ist, der dort lediglich eine Zweigstelle betreibt. Im übrigen dürfte der Durchschnittsverbraucher regelmässig auch ausschliessen, dass der von ihm ausgewählte Anwalt einem andernorts ansässigen gleichen Namens identisch ist. Schliesslich würde bei entsprechender Kennzeichnung die nachvertragliche Rechtsdurchsetzung erleichtert, sowie etwaige Irritationen über Identitätsfragen ausgeräumt.

Urteil LG Erfurt

So hat denn auch das LG Erfurt in der zitierten Entscheidung insbesondere mit der physischen Erreichbarkeit des Rechtsanwaltes an seinem Kanzleisitz argumentiert: „Das rechtsuchende Publikum habe ein berechtigtes Interesse daran, nicht darüber getäuscht zu werden, wer ihm werbend gegenübertritt, ob er also mit einer RA-Kanzlei als Hauptsitz mit dem nötigen Back-Office zu tun hat, wo der Rechtsanwalt der ihm obliegenden Kanzleipflicht entsprechend seinem Mandanten zu angemessenen Zeiten in seinen Praxisräumen für anwaltliche Dienste zur Verfügung steht, oder aber er es mit „nur“ einer Zweigstelle zu tun hat, in der nicht unbedingt ein komplettes Backoffice zur Verfügung steht und wo der Rechtsanwalt auch nur „gelegentlich“ anzutreffen sein wird. Dem rechtsuchenden Mandanten käme es bei der Auswahl seines Anwaltes sehr häufig auch gerade auf den persönlichen Kontakt zu seinem Rechtsanwalt an, mit dem er in dessen Praxisräumen in einem persönlichen Gespräch vor allem komplizierte Sachverhalte und schwierige Rechtslagen auf diese Weise einfacher erörtern kann und will.

Mehr Schein als Sein

Die Auffassungen des Gerichtes sind nicht zu teilen. Die angeführten Stimmen aus der Literatur und der aktuellen Rechtsprechung des LG Erfurt zeugen von einem tradierten und antiquierten Gedankengut, das aus Zeiten datiert, in denen der „Dorfanwalt“ noch das Image des „Feld-Wald-Wiesen-Anwaltes“ begründete und prägte, haben aber mit dem Anwaltsberuf in der heutigen Zeit des 21. Jahrhunderts augenscheinlich nichts mehr gemein. Wenn es dann noch um die „physische Präsenz“ des Rechtsanwaltes in „seinen Kanzleiräumen“ geht, wird es geradezu grotesk:

Früher war der Rechtsanwalt, ebenso wie der „Dorfarzt“ für den Bereich der Medizin, die erste Anlaufstelle, wenn’s ums Recht ging. Er hatte die überhöhten Mietnebenkosten seines Kegelbruders genauso zu prüfen, wie sich um die Erbangelegenheiten im Todesfall des Großvaters des Bauern von nebenan zu kümmern. Darüber hinaus musste er sich wegen der entwendeten Mistgabel des Landwirtes vom Nachbargehöft in die Tiefen des Strafrechtes bewegen und war dann noch eine Magd im Spiel, waren die Scheidungs- und Unterhaltsfragen nicht weit.

Unabhängig davon, dass auch der besagte „Dorfanwalt“ sich komplizierte Sachverhalte und schwierige Rechtslagen auch in der Wohnung seines Mandanten, in der Dorfschänke, oder aber auf dem sonntäglichen Weg zur Kirche auf einfache Weise erläutern lassen konnte, die Zeiten haben sich jedoch zwischenzeitlich geändert: Die Anwaltssozietät versteht sich heutzutage als ein modernes Wirtschaftsunternehmen, mittels hochentwickelter Kommunikationsmittel überall und rund um die Uhr erreichbar, mobil und international verflochten.

Nun muss man es nicht unbedingt so handhaben, wie der Kollege aus dem Bereich des Medizinrechtes, der werbend auf seiner Homepage sogar angibt, seine anwaltlichen Dienstleistungen via Internet von einem Blockhaus in Kanada aus zu erbringen. Aber kommt es einem Rechtssuchenden tatsächlich darauf an, einem Anwalt „in dessen Praxisräumen“ in einem persönlichen Gespräch komplizierte Sachverhalte und schwierige Rechtslagen unterbreiten zu wollen, oder ist es für ihn nicht viel wichtiger, eine seriöse und qualifizierte anwaltlicher Dienstleistung zu erhalten, unabhängig davon, wo der Rechtsanwalt diese Dienstleitung tatsächlich erbringt?

Man stelle sich vor, der Vorstandschef nebst komplett besetztem Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft würde das „Stelldichein“ in einer deutsch-amerikanischen Großkanzlei, um den geplanten Joint Venture mit einem chinesischen Großinvestor persönlich durchzusprechen, davon abhängig machen, dass die Gespräche nicht in einer „Niederlassung“, sondern der „Hauptstelle“ der Kanzlei geführt würden (gibt es nicht etwa schon die Möglichkeit zu Telefonkonferenzen?). Der Firmenchef des mittelständigen Unternehmens wird auch nicht zwingend jeden einzelnen Arbeitsvertrag persönlich mit seinem Anwalt in dessen Kanzleiräumen durchsprechen wollen und der schwer gesundheitsgeschädigte Mandant, der aufgrund seiner Behinderung schon per se nicht in der Lage ist, sich persönlich zur Kanzlei des Anwaltes zu begeben, ist bei konsequenter Auslegung der Argumente auf die gleiche Stufe zu stellen, wie der in der JVA „festgesetzte“ Übeltäter: ja wie soll das denn praktisch funktionieren, dass er sich zum Anwalt in dessen „Praxisräume“ begibt?

Natürlich kommt es dem Durchschnittsverbraucher neben der Qualifikation des Rechtsanwaltes auch auf dessen Erreichbarkeit an. Weshalb soll denn bei entsprechender Organisation ein Anwalt an seiner Zweigstelle weniger rasch erreichbar sein, als in seiner Hauptstelle? Wie kommt das Gericht darauf zu konstatieren, der Anwalt sei in seiner Zweigstelle auch nur „gelegentlich“ erreichbar? Ist es denn nicht etwa denkbar, dass sich gerade die Zweigstelle des Anwaltes prächtiger entwickelt, als die Hauptstelle und der Anwalt erhöht entsprechend seine dortige „Präsenz“, soweit erforderlich? Wieso sollte die Präsenz eines Rechtsanwaltes in seiner Zweigstelle weniger gewährleistet sein, als diejenige eines „gleichermaßen engagierten und ausgelasteten Rechtsanwaltes, der sich auf den Betrieb seiner Hauptstelle beschränkt“? Wie sind denn dann die „gleichermaßen engagierten und ausgelasteten Strafverteidiger“, zu beurteilen, die sich üblicherweise nicht in den eigenen Praxisräumen, sondern bei Gericht, oder ihren Mandanten persönlich befinden? Und was ist mit dem bemängelten „Back-Office“? Was veranlasst das Gericht zur Bemerkung, in einer Niederlassung verfüge der betreffende Anwalt nicht über das nötige Backoffice. Ist nicht auch da eine Konstellation denkbar, in der gerade das Backoffice in der Niederlassung qualifizierter betrieben wird, als in der Hauptstelle?

Die gesetzlich verankerte und natürlich nachzuvollziehende Kanzleipflicht eines Anwaltes soll vor allem dazu führen, dass aus einem Anwalt nicht ein allein mit Handy bewaffneter bundesweit umher tingelnder Rechtsvertreter wird. Auch muss es möglich sein, ihn grundsätzlich und zu den üblichen Bürozeiten erreichen und ihm notfalls Schriftstücke zustellen zu können. Ist dieses aber organisatorisch entsprechend eingerichtet, macht eine Unterscheidung und Kennzeichnung von Haupt- und Nebenstelle keinen Sinn.

Möge das streitbefasste Rechtsmittelgericht mit dem nötigen Augenmass bewerten, ob es tatsächlich richtig ist, der Anwaltschaft aufzuzeigen, ob es einer Kennzeichnung bedarf, welche seiner Kanzleien er als Niederlassung und welche er als Hauptstelle führt. Macht das Beispiel Schule, könnten die Regeln doch auch in der  Versicherungswirtschaft und Bankenbranche aufgenommen werden, oder bei grossen Fast-Food-Ketten. Denn der Hamburger schmeckt in der Hauptstelle sicher besser, als in „nur“ einer Niederlassung…..

Dr. Dirk Christoph Ciper, LL.M.
Fachanwalt für Medizinrecht in Berlin