„Zum (Un-)Sinn anwaltlicher Verrechnungsstellen“
„Es macht wieder Spaß, Anwalt zu sein. – Ausgeglichenheit. Jederzeit. – Die Entscheidung für eine Zusammenarbeit mit der Verrechnungsstelle war für mich eine der besten der letzten Jahre. – Nie wieder unbezahlte Honorare“. Vollmundig lauten die Werbebotschaften einer der führenden deutschen Anbieter im Forderungsmanagement für Rechtsanwälte.
Dabei hatten es die Inkassounternehmen für Anwälte anfangs gar nicht so leicht: Was Mediziner schon seit Jahrzehnten betreiben (konkret gibt es für die Privatärzte genossenschaftlich organisierte Verrechnungsstellen schon seit 1927), nämlich ihre Rechnungen nicht unmittelbar an den Patienten zu senden, sondern die Abrechnungen über eine Einzugsfirma laufen zu lassen, musste für den anwaltlichen Bereich erst einmal rechtlich geklärt werden: Nicht nur nach Auffassung der Rechtsanwaltskammer Köln verstieß dieses Inkasso gegen § 49b IV S. 2 BRAO a. F. Nach dieser Vorschrift war die Abtretung von Gebührenforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an einen nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Dritten unzulässig, es sei denn, die Forderung war rechtskräftig festgestellt, ein erster Vollstreckungsversuch fruchtlos ausgefallen und der Rechtsanwalt hatte die ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten eingeholt.
Nun lagen diese beiden Voraussetzungen in der Praxis so gut wie nie kumulativ vor, was dem Inkassomodell praktisch einen Riegel vorschob. So sah es auch die Kammer in Köln: Das Inkasso der Honorare rüttele an den Grundfesten des anwaltlichen Selbstverständnisses, so die Berufswächter, und weiter: in der Öffentlichkeit sei es kaum zu vermitteln, dass der in rechtlichen Angelegenheiten versierte Anwalt nicht in der Lage sein solle, auch seine Außenstände eigenverantwortlich einzuklagen. Im Übrigen habe es jeder Anwalt selbst in der Hand, das Risiko von Forderungsausfällen zu minimieren, indem er von seinem Mandanten einen angemessenen Vorschuss für seine Dinge verlange.
Andere Argumente wurden dann auch von der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf angeführt: Das Problem bestünde auch darin, dass über eine anwaltliche Verrechnungsstelle sensible Mandantendaten nach außen dringen würden. Der Mandant habe aber ein Recht darauf, dass vertrauliche Informationen nicht aus den Kanzleiräumen nach außen gelangten. Gerade das besondere Vertrauen in die Integrität und Verschwiegenheit unterscheide den Anwalt von anderen Berufsgruppen.
Gegenargumente lieferte dann neben anderen auch das Institut für Anwaltsrecht an der Universität Köln. Danach sei der Forderungseinzug über eine anwaltliche Verrechnungsstelle schon nach geltendem Recht zulässig, soweit der Mandant der Forderungsabtretung zugestimmt habe. Es sei nämlich nicht einzusehen, weshalb Rechtsanwälte anders behandelt werden sollten als Ärzte, die ihr Forderungsmanagement schon seit Jahren über die PVS abwickelten. Im Übrigen habe der Bundesgerichtshof bei der telefonischen Rechtsberatung gar ein mutmaßliches Einverständnis der Anrufer dahin gehend angenommen, dass die jeweilige Honorarforderung über die nächste Telefonrechnung und nicht über die Anwaltskanzlei liquidiert wird.
So sehr diese Argumentation auch einleuchtete, der Wortlaut des § 49 b BRAO sprach indes dagegen. Es stellte sich daher die Frage, ob die Grenzen zulässiger Auslegung überschritten würden, wenn gegen den Wortlaut des Gesetzes einfach ein ‚und’ durch ein ‚oder’ ersetzt würde. Nach Auffassung der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main sei die Abtretung der Anwaltshonorare bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift jedenfalls zulässig. Auch die Bundesrechtsanwaltskammer hatte keine Bedenken gegen eine anwaltliche Inkassostelle.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen die Abtretung zulässig ist, musste also gerichtlich geklärt werden. So wurden u.a. das LG Stuttgart, AnwBl. 2007, 455 ff. und das AG Karlsruhe, MDR 2007, 496 involviert. Mit Urteil vom 03. Februar 2006 (Az. 6 U 190/05) stellte das Oberlandesgericht Köln klar, dass der von der Kammer angeführten Norm des § 49 b IV S. 2 BRAO nur eine ‚interne Ordnungswirkung’ zukomme und ergänzte: „Es kommt hinzu, dass das im Klageantrag abstrakt beschriebene Geschäftsmodell ohne Verletzung der Verschwiegenheitspflicht betrieben werden kann.“ Die konkrete Umsetzung des Geschäftsmodells sollte diese Vorgaben berücksichtigen, indem stets die ausdrückliche schriftliche Einwilligung des Mandanten zur Abrechnung über die Verrechnungsstelle erforderlich war. Die Richter gingen zudem davon aus, dass die Inanspruchnahme einer Verrechnungsstelle der streitgegenständlichen Art für einen Anwalt durchaus mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden sei, welche sich zugleich als Vorteil im Wettbewerb zu seinen weiterhin selbst abrechnenden Kollegen darstelle. Indem die Beklagte die erfahrungsgemäß zeitraubende Mühewaltung des Forderungseinzuges und insbesondere auch das Risiko der Eintreibbarkeit der fraglichen Forderung übernehme, würde der Rechtsanwalt anderweitig nutzbare Arbeitszeit gewinnen und habe außerdem, unter Berücksichtigung der Kosten des Beklagten, stets Gewissheit über die Werthaltigkeit seiner aktuellen Forderungen.
Für höchstrichterliche Klarheit sorgte sodann der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 01. März 2007 (Az. IX ZR 189/05): In der Entscheidung hebt der BGH hervor, dass die Abtretung einer Anwaltsgebührenforderung an einen Rechtsanwalt ohne Zustimmung des Mandanten wirksam ist. Insbesondere liege kein Verstoß in verfassungsrechtlicher Hinsicht vor.
Die Urteile riefen auch den Gesetzgeber auf den Plan. Die Vorschrift wurde ganz einfach neu gefasst. In der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-Druck 16/3655) hieß es, die Abtretung von Vergütungsforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an Rechtsanwälte sei vorbehaltlos gestattet, also auch ohne Einwilligung des Mandanten. Dasselbe solle für die Abtretung oder Übertragung an rechtsanwaltliche Berufsausübungsgemeinschaften gelten. Für die Abtretung oder Übertragung an andere Personen als Rechtsanwälte sei die ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten erforderlich. Alternativ, anstelle der Einwilligung durch den Mandanten, solle es nach dem neuen Satz 2 für die Abtretung oder Übertragung ausreichen, dass die Vergütungsforderung rechtskräftig festgestellt ist. Der Gesetzesentwurf wurde in der Folge umgesetzt und lautet nunmehr:
§ 49 b IV:
„Die Abtretung von Vergütungsforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an Rechtsanwälte oder rechtsanwaltliche Berufsausübungsgemeinschaften (§ 59 a) ist zulässig. Im Übrigen sind Abtretung oder Übertragung nur zulässig, wenn eine ausdrückliche schriftliche Einwilligung des Mandanten vorliegt oder die Forderung rechtskräftig festgestellt ist. Vor der Einwilligung ist der Mandant über die Informationspflicht des Rechtsanwalts gegenüber dem neuen Gläubiger oder Einziehungsermächtigten aufzuklären. Der neue Gläubiger oder Einziehungsermächtigte ist in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet wie der beauftragte Rechtsanwalt“.
Nachdem Rechtsprechung und Gesetzgeber grünes Licht gegeben hatten, konnten die Inkassounternehmen also starten. Vereinfacht dargestellt läuft das Modell folgendermaßen: Die Verrechnungsstelle kauft die Gebühren- bzw. Honoraransprüche des Anwaltes auf und fordert sie selbständig bei dem Mandanten ein. Dabei handelt es sich um das klassische Factoring. Der Factoring-Vertrag ist selbst gesetzlich nicht geregelt. Die Rechtslage bestimmt sich nach dem allgemeinen Recht. Schon die alten Babylonier kannten diese Art der Umsatzfinanzierung. Heute soll sich die Summe der fakturierten Forderungen weltweit auf fast 100 Milliarden Euro belaufen.
Die Vorteile des Factoring für den Kunden liegen auf der Hand: die Sicherheit vor einem etwaigen Forderungsausfall, die unmittelbare Erhöhung des Eigenkapitals sowie die Möglichkeit der Entlastung der Buchhaltung lassen sich nennen. Das Finanzierungsmodell hat allerdings auch seinen Preis. Zwischen 2 % und 8 % des Brutto-Forderungswertes lassen sich die Inkassounternehmen als Factoringentgelt zahlen.
So richtig angekommen in der Anwaltschaft ist diese Finanzierungsform wohl auch noch nicht. In einer vom Soldan Institut für Anwaltmanagement erhobenen Studie mit mehr als 4.000 Rechtsanwälten im Jahre 2005 war das Ergebnis eher ernüchternd. 65 % der Befragten hatten kein Interesse an einer Abtretung ihrer Vergütungsforderungen an eine Inkassostelle, 23 % hatten sich diesbezüglich noch keine Meinung gebildet und lediglich 12 % der Befragten standen dem Modell eher aufgeschlossen gegenüber, wobei es sich bei letztgenannten vorwiegend um kleinere Kanzleien und jüngere Rechtsanwälte handelte. Auch fünf Jahre später ist das Interesse der Anwaltschaft als eher mau zu bezeichnen. So hat die größte Verrechnungsstelle bundesweit nach eigenen Angaben einige hundert Kunden. Weitere Anbieter dieser Dienstleistungen sucht man nahezu vergebens, ein klares Anzeichen dafür, dass das Finanzierungskonzept auch heute noch keinen großen wirtschaftlichen Erfolg verspricht.
Die Bedenken sind einleuchtend und stellen das Finanzierungsmodell grundsätzlich in Frage. Welcher Anwalt lässt sich schon gerne den Vorwurf machen, nicht in der Lage zu sein, seine eigenen Rechnungen entsprechend zu generieren und im Zweifel gerichtlich einzuklagen. Bei Medizinern sieht es da naturgemäß etwas anders aus. Auch unabhängig von einer zuweilen oder sogar oftmals vorzuwerfenden fehlenden juristischen und kaufmännischen Kompetenz der Ärzte, lässt das Gesundheitssystem hinsichtlich der Abrechnung über eine privatärztliche Verrechnungsstelle beim Patienten jedenfalls keinen faden Beigeschmack zurück.
Anders sieht es da für die Anwaltschaft aus. Nicht selten haftet der Abrechnung über eine Inkassostelle ein Makel der kurz bevorstehenden Insolvenz des Zedenten an. Der unbefangene Mandant wundert sich zudem, wenn auf der Rechnung der Name einer Verrechnungsstelle steht. Nun bieten die Dienstleister auch sogenannte „stille Verfahren“ an. Während beim ‚offenen Verfahren’ die Rechnungen generell von der Verrechnungsstelle ausgestellt und übermittelt werden, werden beim ‚stillen Verfahren’ die Rechnungen und gegebenenfalls Mahnungen weiterhin von dem Anwalt auf eigenem Briefbogen versendet. Sollte der Mandant nicht reagieren und wird nach einer gewissen Frist die Honorarrechnung nicht beglichen, so gibt der Rechtsanwalt die Forderung an die Verrechnungsstelle ab und erst im Anschluss daran wird der Mandant in Kenntnis gesetzt. – Stellt sich dann nur die Frage: Warum in diesem Falle überhaupt ein Inkassounternehmen involvieren, und den Mahnantrag oder die Klage nicht selber auf den Weg bringen. Im anderen Fall wiederum, also zahlt der Mandant auf die zweite oder dritte Anmahnung des Rechtsanwaltes, so macht die Involvierung des Inkassounternehmens nun überhaupt keinen Sinn, außer für das Unternehmen, das seine Prozente aus der Bruttoabrechnung erhält.
Apropos Abrechnung: das Inkassounternehmen erhält seine Provisionen aus der Bruttohonorarabrechnung des Anwaltes. Beinhaltet die Honorarrechnung nun aber auch den vom Gericht stets verlangten Gerichtskostenvorschuss, so fallen auch für diesen Betrag, also einer beim Anwalt durchlaufenden Position, die entsprechenden Provisionen an.
Weitere Nachteile lassen sich nennen: So besteht etwa für den Anwalt grundsätzlich die Verpflichtung, ein Mindestkontingent über die Verrechnungsstelle abzuwickeln. Beim Abschluss einer bestimmten Vertragsart im ‚offenen Verfahren’, muss sich die Kanzlei zum Beispiel dazu verpflichten, mindestens 50 % des Kanzleijahresumsatzes als Kontingent abzugeben. Auch ist fraglich, ob der Arbeitsaufwand und Postverkehr sich mindert lässt, schließlich muss die Rechnung anstatt direkt an den Mandanten nun über die Inkassostelle laufen. Einige Renogehilfinnen/bzw. -fachangestellte laufen jedenfalls schon Sturm: Personaleinsparung auf ihre Kosten, das mögen die Anwälte doch bitte sein lassen. Sparen ließe sich an anderer Stelle, aber nicht, wenn es um das Ausfertigen von Honorarrechnungen ginge. Das empfinden nämlich ‚Reno-Urgesteine mit Leib und Seele’ als Aufgaben, die ihnen quasi ‚in die Wiege gelegt wurden’. Eine Verrechnungsstelle könne gerade ‚guten Mandanten’ die Honorarnote nicht so verkaufen, wie es nötig ist, Rahmengebühren erläutern und Differenzgebühren bei PKH, sowie Vorschüsse entsprechend errechnen.
Für wen macht das Verfahren dann eigentlich noch Sinn?
Großkanzleien werden sich eher davor hüten, ihre eigenen Honorarrechnungen auszulagern. Wie soll denn auch einem Großkunden, etwa dem Vorstandsvorsitzenden einer deutschen Aktiengesellschaft, näher gebracht werden, dass das Kanzleisekretariat die Rechnung nicht selber anfertigen könne oder wolle. Der Erklärungsnotstand dürfte dann umso größer werden, wenn nach einer gesetzten Zahlungsfrist diesem Vorstandsvorsitzenden durch eine Inkassostelle die letzte Frist gesetzt wird, oder gar der Mahnbescheid um die Ohren flattert. Von weiteren Mandatierungen der betreffenden Sozietät wird die Aktiengesellschaft dann wohl eher Abstand nehmen.
Kanzleien, die überwiegend Firmenmandate betreuen, werden ähnliche Erfahrungen befürchten müssen, je nach Agitation des Inkassounternehmens.
Bleiben also noch Klein- und Kleinstkanzleien oder Berufsanfänger übrig. Interessant könnte das Modell dann in der Tat für denjenigen sein, der oftmals mit Mandanten zu tun hat, die über eine Rechtsschutzversicherung verfügen. In bestimmten Fachgebieten, wie zum Beispiel dem Arzthaftungsrecht kommt es bei einigen Versicherern zu erheblichen Abwicklungsproblemen. Unberechtigte Regulierungsverweigerungen, bzw. –verzögerungen kennt jeder Anwalt, der mit diesen Rechtsschutzversicherern zu tun hat.
Größtes Konfliktpotenzial bieten die Komplexe der zu erteilenden Informationen, der Streitwert- und der Gebührenhöhe. Würde die Verrechnungsstelle den Arbeitsaufwand, der sich durch den Schriftwechsel mit der Rechtsschutzversicherung ergibt, tatsächlich abfangen, könnte sich der Rechtsvertreter auf das wesentliche, nämlich die Mandatsbearbeitung an sich konzentrieren. Die Praxis zeigt jedoch, dass der Anwalt mit Involvierung der Inkassostelle dann auf einmal zwei Anlaufstellen hat, denen gegenüber er vorzutragen hat, da das Unternehmen sich lediglich als ‚Durchlaufstelle’ sieht und im Konfliktfalle sich völlig auf die Aufarbeitung durch den Anwalt beschränkt. Hat der Anwalt also dann auch noch ‚doppelte’ Arbeit, weshalb soll er dann von seinen Gebührenansprüchen auch noch einen erheblichen Anteil als Provision abgeben?
Und was ist mit der Sicherung eines Forderungsausfalles? Hierfür hat der Anwalt die sogar gesetzlich geregelte und vom Gesetzgeber erwünschte Möglichkeit der Vorkasse. Bleibt als einziger Sinn des Modells eine kurzfristige Stärkung der eigenen Liquidität.
Wie die o.a. Statistiken belegen, macht es für die meisten deutschen Anwälte wohl immer noch Spaß, Anwalt zu sein, ohne ein Inkassounternehmen zu involvieren. Zumindest bleibt dann das verdiente Honorar ganz beim Anwalt und es partizipiert hieran nicht noch ein Dritter. Und dann macht es tatsächlich wieder mehr Spaß, Anwalt zu sein.
Dr. Dirk Christoph Ciper, LL.M.
Fachanwalt für Medizinrecht