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Das sogenannte „Non-Legal-Outsourcing“ von Anwaltskanzleien – Zur Änderung des § 2 BORA

I. Einleitung

„Coffee & Law“ in einem Duisburger Café, „Rechtsberatungskiosk“ am Berliner Gendarmenmarkt und ein Anwaltsstand in der Frankfurter Fußgängerzone: der Kreativität an neuen Geschäftsmodellen einiger Berufskollegen sind scheinbar keine Grenzen gesetzt. Dem Rechtsanwalt ist es heute bekanntlich erlaubt, auswärtige Sprechtage abzuhalten, jedenfalls solange er nicht in Konflikt mit dem § 2 BORA gerät, also der anwaltlichen Verschwiegenheit.

Die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer hat sich nun auf ihrer Sitzung vom 10. 11. 2014  mit dieser Vorschrift eingehend befasst und dem Bundesjustizministerium einen Änderungsbeschluss vorgelegt, der den derzeit regellosen Zustand, insbesondere was das sogenannte „Non-Legal-Outsourcing“ angeht, beseitigen soll. Danach wird jetzt klargestellt, dass kein Verstoss gegen die anwaltliche Verschwiegenheit vorliegt, wenn das Verhalten des Rechtsanwalts „im Rahmen der Arbeitsabläufe der Kanzlei einschließlich der Inanspruchnahme von Leistungen Dritter erfolgt und objektiv einer üblichen, von der Allgemeinheit gebilligten Verhaltensweise ihm sozialen Leben entspricht (Sozialadäquanz).“ Im übrigen darf ein Rechtsanwalt grundsätzlich auch die Dienste kanzleiexterner Personen in Anspruch nehmen, „soweit diese auch zur Verschwiegenheit verpflichtet werden.“

II. Ursprung, Sinn und Zweck der Änderung von § 2 BORA

Worum geht es genau beim „Outsourcing“? Es geht um kanzleibezogene Hilfstätigkeiten, die nicht vom kanzleieigenen Personal erledigt werden, sondern aus technischen und/oder wirtschaftlichen Gründen von kanzleiexternen Dienstleistern mit entsprechender Spezialisierung, also etwa Schreibkräften, Übersetzungsbüros, IT-Technikern, Boten oder Reinigungsunternehmen. Jetzt gilt es allerdings zu unterscheiden: Schon bislang machte das Gesetz den anwaltlichen Verschwiegenheitsschutz nicht davon abhängig, wo diese Hilfskräfte konkret beschäftigt sind, sondern davon, ob ihre Tätigkeit „in einem inneren Zusammenhang mit der spezifischen Berufstätigkeit des Rechtsanwaltes“ steht. Nach § 2 IV BORA in der jetzigen Fassung hat der Rechtsanwalt seine Mitarbeiter und alle sonstigen Personen, die bei seiner beruflichen Tätigkeit mitwirken, zur Verschwiegenheit ausdrücklich zu verpflichten und anzuhalten. Bezüglich dieses Personenkreises hält die nun neue Vorschrift § 2 V BORA-E zusätzlich fest, dass kanzleiexterne Personen zur Verschwiegenheit zu verpflichten und anzuhalten sind. Dabei handelt es sich nach der ersten Alternative um Personen, denen der Rechtsanwalt verschwiegenheitsgeschützte Tatsachen zur Kenntnis gibt, wie zum Beispiel Übersetzer und in der zweiten Alternative um Personen, denen der Rechtsanwalt zwar keine verschwiegenheitsgeschützte Tatsachen zur Kenntnis gibt, diese sich aber durch die Leistungserbringen, wie zum Beispiel beim externen Kopieren oder Vernichten von Akten, Kenntnis von Tatsachen verschaffen können.

Zwar wurde und wird niemand für unzulässig oder problematisch erachten, dass der Rechtsanwalt auch kanzleiexterne Personen engagiert, die nichts mit der eigentlichen Mandatsbearbeitung zu tun haben, das nennt sich dann „Non-Legal-Outsourcing“ (Schließlich wird dieses Non-legal-Outsourcing auch bei anderen Berufen mit vergleichbarem Verschwiegenheitsschutz, etwa bei Richtern, Staatsanwaltschaft oder Finanzverwaltung betrieben. Weshalb also sollten dem Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege strengere Anforderungen auferlegt werden?). Aber die Diskussion zu deren rechtlicher Zulässigkeit und Einordnung wurde nichtsdestotrotz seit langer Zeit und intensiv geführt.

Gelöst werden soll die Problematik des Outsourcing nun über die Lehre von der Sozialadäquanz, die im Strafrecht entwickelt worden ist. Nach aktueller systematischer Übersicht in der Literatur  fallen Handlungen, die zwar vom Wortlaut einer Strafnorm erfasst sind, sich aber „völlig im Rahmen der normalen, geschichtlich gewordenen (sozialethischen) Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen“, nach der Lehre von der Sozialadäquanz aus dem Bereich des Unrechts heraus. „Sozialadäquat ist ein „den Wertevorstellungen und Maßstäben der menschlichen Gesellschaft beziehungsweise Gemeinschaft entsprechendes Verhalten.“  Dabei genügt allerdings nicht schon allein die bloße Üblichkeit (faktische Komponente), sondern es ist auch immer deren rechtliche Billigung zu überprüfen. Die Prüfung bedarf nicht selten einer sorgfältigen Abwägung über die soziale Tragbarkeit der Verhaltensfolgen. Als Beispiel lässt sich heranziehen, dass trotz ordnungsgemäßer Herstellung und Verwendung von Kraftfahrzeugen Menschen im Straßenverkehr ihr Leben verlieren oder verletzt werden können, diese Gefahren aber halt der Preis seien für die gesellschaftlich gewollte Mobilität.

Übertragen auf die behandelte Problematik dürfte das Outsourcing grundsätzlich der gesellschaftlich gewollten Spezialisierung und Kostenreduzierung im Rahmen einer arbeitsteiligen Wirtschaftsordnung und deren zunehmender Internationalisierung entsprechen. Ein mandatsdienliches Verhalten, wie zum Beispiel die externe Übersetzung fremdsprachlicher Unterlagen ist nun wirklich nicht geeignet, das Vertrauen der Allgemeinheit in die anwaltliche Verschwiegenheit zu erschüttern und damit sozialadäquat.

Etwas anderes dürfte dann gelten, wenn ein Rechtsanwalt über gar keine eigenen Kanzleiräumlichkeiten verfügt und sich die ihm zugestellte Post mittels einer willkürlichen dritten Person aushändigen lässt. Mit einer derartigen Konstellation hatte sich der AGH Berlin (I AGH 5/13) zu befassen: Der betroffene Anwalt verfügte weder über eigene Kanzleiräumlichkeiten, noch Briefkasten mit Berufsbezeichnung, geschweige denn Kanzlei- oder Namensschild. Bei der Kanzleianschrift handelte es sich lediglich um Räumlichkeiten eines unter der gleichen Anschrift betriebenen Reisebüros. Der Inhaber dieses Reisebüros hatte von dem Rechtsanwalt eine schriftliche Vollmacht, ihn in allen gesetzlich zulässigen Angelegenheiten zu vertreten und Zustellungen für ihn anzunehmen. Der AGH entschied (wohl nicht ganz zu unrecht), bei einer solchen Sachlage sei die Wahrung der anwaltlichen Verschwiegenheit nicht sichergestellt. Auch unter dem Aspekt der „Sozialadäquanz“ wird der Kollege diese Geschäftspraxis kaum wieder aufnehmen können.

III. Zusammenfassende Stellungnahme

Dass die Gesetzesänderung vom Ministerium in der gewählten Art und Weise Anfang März 2015 abgesegnet wird, daran gibt ist in Expertenkreisen keinerlei ernsthafte Zweifel, kritische Stimmen indes schon: So  würde der Rückgriff auf das Institut der Sozialadäquanz zur Aufweichung der Säulen des Berufsstandes führen, der Begriff sei auch, trotz der Möglichkeit seiner Definition, nach wie vor zu unbestimmt.

Die Befürworter des Beschlusses führen allerdings dagegen vor Augen: „Es reicht nicht aus, allein zu kritisieren, ohne alternative Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Diese sind auch nicht ersichtlich,“ so etwa Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Präsident der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann wird noch deutlicher. Er stellt fest: „Der vorsichtige Umgang mancher Berufskollegen mit externen Dienstleistern nimmt zuweilen  hysterische Züge an. Durch § 203 III StGB sind Gehilfen von der  Schweigepflicht umfasst. Berufsrechtlich macht es keinen Unterschied, ob sich Kanzleien zu diesem Zweck Angestellter bedienen, freier Mitarbeiter oder in sonstiger Weise verpflichteter Gehilfen. Das alles ist zulässig, ebenso wie die Nutzung von Büroservicecentern mit dem dortigen Personal.“

Alles andere als einer liberalen Lösung der Gesamtproblematik Vorschub zu geben, würde völlig praxisfern sein und für Hardliner der Säulen des anwaltlichen Berufsstandes wäre dann auch sicherlich ein generelles Verbot kanzleiexterner Personen, wie beispielsweise der bei bedarf engagierten Schreibkraft, einer Praktikantin,  des IT-Mitarbeiters, oder aber der Putzkolonne nicht fern. Dass der Anwalt sodann tatsächlich selber mit dem Putzlappen durch die eigenen Kanzleiräumlichkeiten laufen muss, das hat der Gesetzgeber aber mit großer Sicherheit weder vorgesehen noch beabsichtigt.

Auf der anderen Seite entspricht es aber offensichtlich auch nicht dem herkömmlichen Bild des Anwaltes und wird entsprechend berufsrechtlich geahndet, wenn Berufskollegen einmal „übers Ziel hinausschießen“. Denn: „Coffee & Law“,  das gibt es sicher auch in einer „ordentlich“ eingerichteten Anwaltskanzlei und der gekochte Kaffee schmeckt zuweilen sogar besser als im Café an der Ecke, jedenfalls erhält ein Mandant ihn dann im jedem Falle „sozialadäquater“.

Dr. Dirk Christoph Ciper, LL.M.
Fachanwalt für Medizinrecht in Berlin